In der Nähe des nördlichsten Ausläufers des Braulio-Carrillo-Nationalparks liegt die Region Sarapiquí. Benannt wurde sie nach dem gleichnamigen Fluss, der dort über viele Kilometer durch das tropische Tiefland Costa Ricas fließt. Er windet sich dabei unter anderem durch ein privates Stück Land, das von einem aus den USA stammenden Ehepaar aufgekauft und unter Schutz gestellt wurde. Die Holbrooks errichteten 1985 auf ihrem 500 Hektar großen Grundstück die ebenso naturnah gestaltete wie luxuriöse Selva Verde Lodge. Sich dort einzuquartieren, ist kein ganz preiswertes Vergnügen, aber die atemberaubend schöne Natur jenes Landstrichs ist es ohne Zweifel wert. Während meiner Costa-Rica-Reise Anfang 2004 wohnte ich einige Tage in dieser schönen Lodge.
Das Hotel liegt an einem ruhigen, die meiste Zeit des Jahres recht flachen Abschnitts des Sarapiquí, an dessen Ufern sich intakte Tieflandregenwälder erstrecken. In diesen Wäldern finden sich zahllose interessante Tier- und Pflanzenarten, außerdem gibt es viele Pilze. Man kann dort beispielsweise den stimmgewaltigen Mantelbrüllaffen (Alouatta palliata) oder den flinken Mittelamerikanischen Agutis (Dasyprocta punctata) begegnen. Es kommen darüber hinaus einige Tierarten vor, zu denen man ein wenig Abstand halten sollte, darunter einige giftige Schlangen. Ich habe allerdings selbst keine von ihnen gesehen. Sie sind sehr scheu und versuchen den Kontakt mit Menschen zu vermeiden. Dagegen war es leicht, die sehr großen Tropischen Riesenameisen zu entdecken, die in dem Gebiet vorkommen. Sie gelten als nicht allzu aggressiv, doch angesichts der Tatsache, dass ihre Stiche zu den schmerzhaftesten Insektenstichen der Welt gehören, habe ich lieber gebührenden Abstand gehalten.
Obwohl es in der näheren Umgebung der zauberhaften Selva Verde Lodge also einige Tiere gibt, die für uns Menschen unangenehm sein können, braucht man dort keine übermäßig große Angst zu haben. Verhält man sich angemessen, ist die Gefahr gering, dass einem etwas zustößt. Wer einige Tage oder gar einen ganzen Urlaub in der Selva Verde Lodge verbringt und offenen Auges und dabei umsichtig durch die Wildnis wandert, wird in dieser Gegend sicher mit faszinierenden Naturbeobachtungen belohnt.
Durch den nahe der Unterkünfte gelegenen Wald erstrecken sich mehrere Wanderwege, die von dichtem Grün gesäumt werden. In diesem Unterholz liegen beispielsweise die Balzplätze der costa-ricanischen Tanzvögel, die auch als Manakins bezeichnet werden. Mit ein wenig Glück kann man zwei oder drei Männchen dabei beobachten, wie sie gemeinsam über niedrige Äste tanzen und hüpfen, um einem Weibchen zu imponieren. Darüber hinaus leben in dem dichten Unterholz Leguane, die gern an den Bäumen emporklettern. Am Boden halten sich kleinere Echsen und Kröten auf. Letztere sind jedoch vorwiegend nachtaktiv und daher erst kurz nach Sonnenuntergang zu sehen. Wer Pflanzen mag, wird auf dem Gelände der Lodge ebenfalls fündig. Die Artenliste reicht von Helikonien über Orchideen bis hin zu imposanten Schönheiten wie dem Fackel-Ingwer (Etlingera elatior).
Einer der Wanderwege führt an eine steinige Uferzone des Sarapiquí, wo sich insbesondere in den sehr frühen Morgenstunden bestens Vögel beobachten lassen. Mir gelangen dort Sichtungen badender Kanadareiher (Ardea herodias) und Schmuckreiher (Egretta thula). Oft trippelte ein einzelner Drosseluferläufer (Actitis macularius) über die Steine, und den gesamten Tag über konnte ich Mangroveschwalben (Tachycineta albilinea) bei der Nahrungssuche über dem langsam dahin fließenden Fluss bestaunen. Ein das Fließgewässer gespanntes Drahtseil nutzten diese zierlichen Vögel gern als Sitzplatz, um sich dort auszuruhen.
In der Stunde vor dem Sonnenuntergang nahm der Fluss fortwährend andere Farbschattierungen an. Es war ein besonders schönes Erlebnis, diesem Wechsel der Beleuchtung eine Weile zuzuschauen und die Szene auf mich wirken zu lassen. Während das Tageslicht zusehends schwand, wachten mehr und mehr nachtaktive Bewohner des Schutzgebietes auf, darunter viele Insekten. Motten, und leider auch Moskitos, umschwirren jeden geradezu massenhaft, der sich in der Abenddämmerung ans Flussufer begibt.
Mich hat es erstaunt, wie aktiv manche der in der Gegend heimischen Vögel in der Zeit kurz vor dem Sonnenuntergang noch einmal wurden. Am Ufer des Sarapiquí ertönte abends alle paar Sekunden das „Heeehieeeee“ der Sonnenrallen (Eurypyga helias), während man die Vögel bei schwindendem Tageslicht irgendwann nur noch als dunkle Silhouetten vor dem Fluss sehen kann. Aber nicht nur die Sonnenrallen rufen am Abend. Vertreter der Familie der Eisvögel erheben ihre Stimmen, Sittiche kreischen, Schwalben schnattern und die Montezuma-Stirnvögel (Psarocolius montezuma) verabschieden mit ihren klirrenden Rufen den Tag, während die ersten Kröten und Frösche ihr nächtliches Konzert anstimmen. Die meisten Amphibien quaken nicht die gesamte Nacht hindurch, sondern nur jeweils für einige Stunden. Dennoch hört man fast die ganze Nacht hindurch Vertreter dieser Organismengruppe rufen. In dieser Gegend leben mehrere unterschiedliche Arten, die ihre Stimmen zeitversetzt ertönen lassen. Wer konzentriert lauscht, kann die Unterschiede der Rufe heraushören.
Nicht nur abends geht vom Fluss eine ganz besondere Faszination aus. Morgens hüllt sich das Schutzgebiet vor allem dann in Nebel, wenn es in der Nacht zuvor geregnet hat. Vom Speisesaal des Hotels aus hat man eine fantastische Aussicht auf den Río Sarapiquí und die ihn überspannende Hängebrücke. Kurz vor Sonnenaufgang ist der Nebel an manchen Tagen noch dicht und die Luft ist angenehm kühl. Im Wald zwitschern unzählige Vögel, um die aufgehende Sonne zu begrüßen. Das Frühstücken in dieser tropischen Atmosphäre gehörte für mich zu den absoluten Höhepunkten meiner Reise durch Costa Rica. Während man die sehr gute Küche der Lodge genießt, nimmt einen gleichzeitig die Aussicht gefangen. Je höher die Sonne steigt, desto mehr lichtet sich der Nebel, so dass nach und nach weitere Tiere sichtbar werden, die zuvor nur zu hören waren.
Wer schwankende Brücken nicht fürchtet, der kann – normalerweise nur in Gesellschaft eines Führers – den nicht für die Öffentlichkeit zugänglichen Teil des Schutzgebietes jenseits des Flusses besuchen. Hinter dem Speisesaal führt der Weg zunächst über die Brücke, die den Fluss überspannt. Dahinter reicht das Brückensystem noch einige Meter weiter in den Wald, bis man zu einem Tor gelangt. Durchschreitet man dieses, umgibt einen dichte tropische Vegetation, die besonders artenreich und daher schützenswert ist.
Ein weiterer Wanderweg, den man auf eigene Faust und ohne Führer erkunden darf, windet sich durch den botanischen Garten der Lodge. Der Eingang zum Garten ist zu erreichen, indem man die Straße überquert, an der die Lodge liegt. Bald hat man den Verkehrslärm hinter sich gelassen und ist in die artenreiche Natur des karibischen Tieflandes eingetaucht. Das kleine Häuschen, in dem Schmetterlinge gezüchtet werden, lädt zum Verweilen und Bestaunen der darin lebenden filigranen Schönheiten ein. Die vielen Pflanzen des botanischen Gartens sind allein schon einen Spaziergang auf dem Gelände wert.
Einige Fahrminuten von der Lodge entfernt, befindet sich die kleine Ortschaft Puerto Viejo de Sarapiquí. In der Nähe des Ortseingangs überspannt eine Brücke den Río Sarapiquí. An jener Stelle ist der Fluss relativ breit und an seinen Ufern stehen hohe tropische Bäume. In diesen Bäumen trifft man mit etwas Glück Veraguasittiche (Psittacara finschi), die größten in Costa Rica vorkommende Sittichart. Aber auch Große Soldatenaras (Ara ambigua) sollen dort vorkommen. Leider habe ich diese schönen Papageien dort nicht zu Gesicht bekommen. Ein weiteres lohnendes Ausflugsziel ist die La Selva Biological Station, die von der Lodge aus mit dem Auto rasch zu erreichen ist.